26.10.2006 Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wien ist mehr als Walzertraum

Das Artis-Quartett bei den Kulturtagen der EZB

Wiener Musik - das ist mehr als der Klangrausch der Walzerdynastie Strauß und die unnachahmliche Kunst eines Mozart.

Die Komponisten der Neuen Wiener Schule haben im 20. Jahrhundert Maßstäbe gesetzt, die erst spät - im postmodernen Zeitalter einer Mentalität des beliebigen "Anything goes" - ihren richtungweisenden Charakter eingebüßt haben. Die streng seriell organisierten Werke Schönbergs und Weberns aber liegen dem Konzertabonnenten von heute noch immer schwer im Magen, weil er von Veranstalterseite auch nicht gefordert wird: Gewohnheit und Gewöhnung spielen in der Kunst eben doch eine bedeutende Rolle.

Es mutet sympathisch an, daß die künstlerischen Entscheidungsträger der Europäischen Zentralbank für ihre Kulturtage 2006 in Frankfurt vor hohen Anforderungen an den Konzentrationswillen ihrer Zuhörer nicht zurückschrecken. Ein musikalisch hochkarätiger Abend mit dem Artis-Quartett Wien im Saal der Industrie- und Handelskammer schien für den Charakter des in diesem Jahr der österreichischen Kultur gewidmeten Festivals symptomatisch.

Mozarts Streichquartett Nr. 16 Es-Dur KV 428 ist ein verblüffend aus dem Rahmen seiner Zeit fallendes Werk, motivisch dicht komponiert mit einem engmaschig geknüpften Netz musikalischer Beziehungen. Die auf historischen Instrumenten aus der Sammlung der Österreichischen Nationalbank musizierenden Künstler interpretierten Mozarts Werk schlank im Ton, nüchtern-analytisch, sehr transparent in der Formgestaltung. Kleine Unebenheiten der Intonation und Dynamik zu Beginn waren schnell überwunden.

Alban Bergs Streichquartett op. 3 von 1910 ist ein am Ende des konventionell tonalen Zeitalters stehendes Werk. In seiner erweiterten Harmonik sind formteilende Fixpunkte und Motivstrukturen jedoch noch klar erkennbar. Die geradezu plastische, fast überdeutliche Themenvorstellung der Gäste machte es den Konzertbesuchern leicht.

Auch Alexander Zemlinskys Streichquartett Nr. 4 op. 25 von 1936 prägt ein an diesem Abend deutlich erkennbarer Beziehungsreichtum: Seine Sechssätzigkeit erinnert an die Lyrische Suite von Alban Berg, die Zemlinsky gewidmet ist und ein Zitat aus dessen Lyrischer Sinfonie enthält. In seinem Quartett Nr. 4, das ausgeprägt kontrastreiche Satzcharaktere etabliert, wird wiederum Schönbergs "Verklärte Nacht" zitiert.

Das kräftig applaudierende Publikum wurde mit Zugaben von Schostakowitsch und Beethoven belohnt.

Harald Budweg.
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