10.11.2016 klassik.com

Unbedingter Ausdruckswille

Das Artis Quartett Wien präsentiert mit drei Kompositionen für Streichquartett von Fritz Kreisler, Alexander Zemlinsky und Erwin Schulhoff keine leichte Kost.
Das Artis Quartett hat bereits vielfältige Einspielungen vorgelegt, die sich mit Vorliebe auch einem Repertoire abseits des kammermusikalischen Kanons und dabei auch der Erinnerungsarbeit an den Holocaust und seine kulturellen Folgen widmen. Nach ihren ebenfalls bei Nimbus Records erschienen Aufnahmen der Zemlinsky-Quartette Nr. 1 bis 4 erfährt konsequenterweise nun auch das frühe, erst 55 Jahre nach dessen Tod veröffentlichte Streichquartett in e-Moll (ca. 1893) eine Renaissance: Auf dem Tonträgermarkt trifft man die Komposition bisher nur ein zweites Mal in einer Einspielung sämtlicher Quartette Zemlinskys durch das Brodsky Quartet an; auf dieser Platte wird sie zusammen mit den rund 30 Jahre später entstandenen Werken von Fritz Kreisler in a-Moll (1921) und den Fünf Stücken für Streichquartett von Erwin Schulhoff (1923) präsentiert.

Das Booklet, das – dieser einzige kleine Wermutstropfen der CD sei schon vorweggenommen – die ausführlichen Werkkommentare nur in englischer Sprache anbietet, stellt die Komponistenbiographien auf eine gemeinsame Basis: ihre Gemeinsamkeit in den Verheerungen der Weltkriege, die mit Blick auf die jeweiligen Entstehungsdaten der Quartette zwar ein wenig irreführt, aber das Hörerlebnis an Intensität und Gewichtigkeit nicht schmälert. Stattdessen wird vielmehr aufgezeigt, wie vielfältig, zeitgemäß, ausdrucksstark die Gattung des Streichquartetts vor dem dunklen Schlusskapitel der musikalischen Karrieren durch die nationalsozialistische Diktatur gewesen ist.

Das enorme Klangfarbenspektrum der Interpretationen macht wohl ganz besonders eine Stärke des Artis Quartetts aus, ebenso ein zielgerichteter, spannungsgenerierender Vorwärtsdrang durch das motivische Dickicht. Die Musiker Peter Schuhmayer (1. Violine), Johannes Meissl (2. Violine), Herbert Kefer (Viola) und Othmar Müller (Cello) inszenieren plötzliche Wechsel von harmlos-lyrischen Solomotiven zu nervös brodelnder Chromatik, die eigentümlichen, die Schwellen zur Atonalität immer wieder übertretenden musikalischen Idiome gewinnen an Plastizität. Immer wieder brechen geräuschhafte Klanggebilde mit scharfer Dissonanz und einem Hang zum Schonungslosen, gar Hässlichen aus, dann treten folkloristische Tanzstücke hervor, sei es als romantisierender oder humoristisch-verzerrter Seitenhieb auf die Wiener-Walzer-Sentimentalität oder multinational inspirierte Rhythmen. Dabei ist der Klangeindruck durchweg ausgewogen und differenziert. So gibt es in den teils langen, rhythmisch vertrackten Unisono-Passagen keinerlei Ungereimtheiten in der Intonation und klanglichen Balance zu beanstanden.

Unter dem bezeichnenden Titel 'Alla Tarantella. Prestissimo con fuoco' erfährt die Motorik schließlich ihre Klimax; das abrupte Ende hinterlässt ein sehr nachdrückliches, aber vor der Gesamtkonzeption kein unbedingt angenehmes Unruhegefühl in den Beinen. Nicht zuletzt bezeugen die Fünf Miniatursätze Schulhoffs, dass die Virtuosität der Kompositionen zum Äußersten ausgereizt und die verschiedenen technischen Anforderungen in dieser Kombination wirkungsvoll zum Spielmaterial erhoben werden.

Jasemin Khaleli

Interpretation: ****
Klangqualität: ****
Repertoirewert: ****
Booklet: *** .
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