2007-09-29 Volksblatt (Liechtenstein)

Luft von anderem Planeten

FELDKIRCH - Das Forum Zeitklänge beging am Wochenende den hundertsten Geburtstag von Arnold Schönbergs «II. Streich-Quartett»und damit der Neuen Musik überhaupt mit einem kleinen, feinen Kammermusikfestival im Theater am Saumarkt und im Landeskonservatorium. Das weltberühmte Artis-Quartett aus Wien stand im Mittelpunkt aller drei Abende.

Das Theater am Saumarkt ist beileibe nicht gross. Am Freitagabend, zur Eröffnung des Minifestivals «Ich fühle Luft von anderem Planeten ? 100 Jahre Neue Musik» blieben etwa die Hälfte der Sitze leer, auch wenn die Komponistenszene Vorarlbergs fast geschlossen anwesend war, und das bei einem Konzertabend, an dem von Musikern von Weltrang absolute Klassiker der Neuen Musik dargeboten wurden.

Emanzipation der Dissonanz
Alfred Huber vom Forum Zeitklänge musste es geahnt haben, war doch der Gegenstand seiner Eröffnungsrede die nach wie vor mangelhafte Rezeption Neuer Musik. Unter den gängigen Erklärungsmodellen entschied er sich für das von Information und Redundanz. Die überkommene Tonalität stelle nach wie vor eine Grammatik dar, «der wir gar nicht entkommen können». Heute habe aber jeder Komponist seine eigene Grammatik, eine das Verständnis automatisierende «Redundanz» stelle sich nicht mehr ein. Es gelte also ein Bewusstsein zu schaffen, das neue Grammatiken und damit eine neue «Redundanz» zulasse.
Ein weites Feld.
Der Musikwissenschaftler Anselm Hartmann schilderte die kulturellen Aufbruchstimmung in allen Schaffensbereichen im «konservativ-muffigen» Wien des Jahres 1907, als der in einer tiefen Lebenskrise steckende Schönberg sein zweites Streichquartett komponierte, in dessen viertem Satz er die Tonalität endgültig hinter sich liess, um zu einer «Emanzipation der Dissonanz» zu gelangen».

Erfahrbare Entrückung
Das Artis-Quartett begann mit Schumanns «Sechs Gesängen op. 107 für Sopran und Streichquartett», 1994 transkribiert von Aribert Reimann. Die Kombination Streichquartett und Singstimme: auch das eine Erfindung Schönbergs. Gerlinde Illich übernahm mit ihrem kräftigen, etwas kehligen Sopran den Gesangspart, wundervoll getragen von dem hochsensiblen Zusammenspiel des Quartetts, das von einer atemberaubenden klangfarblichen Vielfalt war; extrem fein nuanciert war die Abstufung von ganz weichem zu transparent-gläsernem Ton. Nach dem Rondo für Streichquartett von Schönberg-Schüler Anton von Webern kam endlich das epochale Meisterwerk, Schönbergs Streichquartett Nr. 2 in fis-moll, op. 10. Wie strafte diese herrliche Interpretation das alte Vorurteil von der mangelnden Emotionalität Neuer Musik Lügen! Insbesondere Satz drei und vier, mit Sopranvertonungen von Stefan Georges Gedichte «Linatei» bzw. «Entrückung» (aus dem das Zitat mit der Luft von anderem Planeten stammt) gruben sich tief in das Empfinden der Zuhörer ein: Illich stiess ohne Qualitätseinbussen in den äusserten Fortissimobereich vor, im Zusammenwirken mit den Instrumentalisten wurde Georges Entrückungsgedanke hör- und erfahrbar. Nach der Pause verabschiedete sich das Quartett mit Alexander Zemlinskis Streichquartett Nr. 4 und legte als Zugabe Schostakowitschs launige Streichquartettpolka nach. .
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