2007-10-05 Allgäuer Zeitung |
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Kemptener Fürstensaal wurde zum Hörsaal |
„Zeitklänge“-Konzert Mit Moderation lässt sich die Neue Musik des 20. Jahrhunderts besser verstehen Von Rainer Schmid Kempten Tatsächlich: Schubert hört man mit anderen Ohren, wenn vorher Werke von Webern und Schostakowitsch zu hören waren. Diese Erfahrung und noch viele weitere Erkenntnisse bescherten Dr. Alfred Huber als Organisator, Carsten Gerhard als Musikhistoriker und nicht zuletzt das glanzvoll aufspielende Artis-Streichquartett aus Wien den zahlreichen Premieren-Besuchern einer neuartigen Konzertreihe im Fürstensaal. Jede Zeit hat ihre Klänge. Welche Epoche aber vor allem mit dem Motto „Zeitklänge“ gemeint ist, machte den Zuhörern gleich zu Beginn Carsten Gerhard klar: das vergangene 20. Jahrhundert, mit seiner grob so genannten „Neuen Musik“ unserer Zeit. „Wir möchten Sie gleichsam an der Hand nehmen, damit Sie mehr wissen und dadurch besser erleben können, wie die Neue Musik aus der Tradition des früheren Komponierens entstanden ist“, sagte Gerhard. Zweifellos ein hoher didaktischer Anspruch, der aber auf ein ideales, also wissbegieriges und großteils vorinformiertes Publikum traf. Drei Streichquartette hatte der Neurochirurg und diplomierte Musiker Dr. Huber für den Eröffnungsabend dieser ungewöhnlichen Konzertreihe ausgewählt: Vom Wiener Schönberg-Schüler Anton Webern eines der ersten Werke ohne durchgehenden Grundtonbezug, entstanden 1905. Dann von Dmitri Schostakowitsch, dem St. Petersburger Russen, das abgründig-düstere Quartett Nr. 8 „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“, das seltsamerweise „nur“ gespielt, aber nicht erläutert wurde. Schließlich von Franz Schubert die Nr. 15, eines der romantisch-zerrissenen Spätwerke von 1826. Kein Dur, kein Moll Der Fürstensaal wird jetzt zum Hörsaal, als Gerhard am Flügel die ersten Takte des Webern-Quartetts anspielt und - mit Blick auf die leinwand-projizierte Partitur darüber - analysiert: Nicht mehr Dur oder Moll mit Grundton und Vorzeichen sind enthalten, sondern der harmonische Zusammenhang bildet sich aus Intervallen einer Ganztonleiter. Und dann passiert das Merkwürdige. „Mit großem Schwung“ der Einbruch in E-Dur. Der aber bald „immer wärmer und bewegter“ aufgegeben wird und „mit innigstem und ganz zartem Ausdruck“ in D-Dur mündet, nach dramatisch atonalem Aufleben und Abflauen schließlich „verklingend, kaum hörbar“ wieder ein E-Dur erreicht. Melodisch? Ja, durchaus, wenn auch nicht zum Mitsingen oder Nachsummen geeignet, so ergreifend schön die vier Herren vom Artis-Quartett mit ihren schwarzen Hemden auch dann spielen. Dabei sollte die surrende, fortlaufende Partitur-Projektion künftig einfach wegfallen. Auch das Schubert-Quartett, so erläutert Gerhard, ist ein Aufbäumen, ein Ringen um neue Ausdrucksformen, 80 Jahre vor Webern. Neun verschiedene Akkorde schon in den ersten 14 Takten erweitern die übliche Harmonik. Dur und Moll, Licht und Dunkel bekämpfen sich impulsiv und hartnäckig im Triolen-Tremolo. Am Schluss siegt das vollklingende G-Dur. Schräge Polka als Zugabe Das Zugaben-Dessert zum Hauptgericht „Zeitklänge“ servieren die vier Wiener Musiker in Form einer Polka von Schostakowitsch: eine witzig-spritzige Mischung aus neutönenden, dissonant verfremdeten Klängen und volkstümlich rhythmischer Tanzbein-Melodie. Bleibt zu hoffen, dass die Lust der Kemptener, „Luft von anderem Planeten“ (Stefan George/Arnold Schönberg 1907) zu atmen, weiter anhält.. |
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